Dienstag, 10. Dezember 2013

Das tapfere Schneiderlein - The brave little Tailor.


Paul Hey

Das tapfere Schneiderlein
war eines meiner Lieblingsmärchen.
Wohl nicht zuletzt, weil es zur Zeit meiner Kindheit
gerade zwei hervorragend illustrierte Bilderbücher dazu gab.







Eines von dem bekannten 
Schweizer Grafiker Herbert Leupin...




Das Andere, mein absoluter Favorit stammte
ebenfalls von einem Basler Künstler...









Bevorzugte Bildmotive sind wohl die Episode mit dem
berühmten "Sieben auf einen Streich"


 In der Märchenfassung wird
der Schneider deswegen, zu Unrecht, wie ich finde,
 als Grossmaul und Prahlhans dargestellt.


„Das „tapfere Schneiderlein“ gehört zu den
nicht seltenen Figuren, wie einem
Schweinehirten, einem abgedankten
 Soldaten oder einem, der auszog, das Fürchten
 zu lernen, immer also jemand ‚von weit weg‘,
 der eine Königstochter
erringt und den Vater beerbt
 („das halbe Reich“ bekommt oder dgl.).
 Es geht hier um die Geschichte einer
matrilinearen Erbfolge,
wo die Krone über die Töchter vererbt wird
 und nicht an die Söhne geht, sondern an
 die Töchtergatten. Die Söhne müssen
also ausziehen und ihr Glück anderswo versuchen.
 Wandert die Geschichte in eine patrilineare
 Gesellschaft weiter, so brauchte
man dort eine starke Erklärung, um
diesen Erfolg zu verstehen.
Bei "Das tapferen Schneiderlein" ist es
die ausnehmende List und
Dreistheit der Titelfigur.“
(Wikipedia)




Das Märchen zieht also möglicherweise
ältere, nicht mehr verstandene
 Motive ins schwankhaft Lächerliche.


Der Schneider wird durch spätere Ueberlagerungen
 und Umdeutungen des Stoffes zum
 kleinbürgerlichen Emporkömmling,
der in den Adelsstand einheiraten will.

Vielleicht lässt sich die  Reise unseres
Märchenhelden aber auch
als  schamanisch verstehen.
Vielleicht verbirgt sich aber hinter
der Figur des Schneiders
ursprünglich eine ganz andere Gestalt.
 Die eines
Zauberers, der sein "Schamanenkostum"
schneidert.
Im Handwerkzeug des Schneiders
verstecken sich vielleicht weitere Hinweise
in dieser Richtung?




Die Gliedpuppe als Darstellung des noch
unbelebten Zweitkörpers?

Hier ist es allerdings
kein Zaubermantel, sondern ein "Zaubergürtel"
der ihm den Aufbruch in die Zauberwelt der Riesen,
wilden Eber, Einhörner und der schöner Prinzessin
ermöglicht.



So gibt es (vage) Hinweise, dass mit dem "Mus"
 das das Schneiderlein auf sein Butterbrot schmiert,
durchaus auch ein halluzinogenes
Süpplein oder Breilein gemeint sein
 könnte,...




... weil  der Term Fliege
 historisch mit dem "Wahnsinn" verbunden sein soll,
 den der Fliegenpilzrausch auslösen kann.
(Fliegenpilz, Mückenschwamm, Mückenpfeffer,
Fliegenschwamm, Fliegenteufel, Narrenschwamm)

Wahnvorstellungen, wie sie aber auch beim
unkontrollierten Aufstieg der Kundalini
 durch die sieben Chakras
(Sieben auf einen Streich)
 auftreten können.




Man denke an die Ähnlichkeit des Schneidersitzes mit
der Sukhasana genannten Meditationshaltung.



Ewald Rumpf
Lebensgroße Figur in gebranntem und bemaltem Ton. 
Auf dem Wanderweg von Reisfeld 
zum Stückhof im Knüllwald.


Ebenso können Verwirrungszustände 
und Fehlinterpretation
bei der Ablösung des
Astralkörpers vom physischen Leib auftreten.
Dadurch dass der
 Schneider diese "Wahnvorstellungen"
bewältigt, steht ihm der Weg ins jenseitige
Zauberreich offen.




Bei den meisten Illustratoren scheinen
die Auseinandersetzungen des Schneiders 
mit dem bzw den Riesen besonders beliebt zu sein.

Hier in Versionen von ...




... Charles Folkard...




...Arthur Rackham...














G.Hinke





Paul Hey




Eugen Osswald


Aber auch  die Gefangennahme des Einhorns...



Wilhelm Roegge










... wie auch die Ueberlistung des Ebers 
immer wieder  beliebte Motive boten.




Nach erfolgreichem Bestehen, dieser
 Aufgaben, die man als Initiaonsprüfung
oder Heiratsaufgaben auffassen kann,
bekommt das Schneiderlein die Prinzessin
zur Frau, die darob allerdings
wenig angetan scheint.
Was hier als hochnäsige Ablehnung eines
Gemahls aus niedererem Stande dargestellt wird,
könnte auch ursprünglich die letzte und
entscheidende Heiratsprobe sein.
Die Schlafprobe.


Otto Kubel

Damit erfolgt diejenige Szene, die meine
oben entworfene, flüchtige Skizze
 zu möglichen schamanistischen Bezügen
zu stützen scheint.

“Nach einiger Zeit hörte die junge Königin 
in der Nacht, wie ihr Gemahl im Traume 
sprach: "Junge, mach mir den Wams und
 flick mir die Hosen, oder ich will dir die
 Elle über die Ohren schlagen." Da merkte 
sie, in welcher Gasse der junge Herr geboren war...“





Das "Sprechen im Schlaf"
 ist mehr als sinnloses Traumgeplapper.
Es könnte  ein Hinweis auf seine"paradoxe" Fähigkeit 
des "Hellschlafs" des "Schlafwachens" sein.
Die letzte Prüfung, ob er  tatsächlich
zum Prinzgemahl geeignet ist.

"In vielen Märchen ist der Übergang von der Alltags- 
zur Märchenebene (der Anderwelt) als Einschlafen 
und Wiedererwachen beschrieben, etwa in "Der Trommler",
 in dem auch sonst von verschiedenen Besonderheiten 
des ausserkörperlichen Zustandes erzählt wird. 
Oft wird das Gelingen einer zu erfüllenden Aufgabe 
oder das Erlangen einer Erkenntnis vom Wachbleiben 
abhängig gemacht, und gefordert, daß die 
Ich-Bewußtseinskontinuität erhalten bleibt.
 Z. B. in "Die Wichtelmänner":



 Die Frau des Schusters 
"steckte ein Licht an: darauf verbargen sie sich
 in den Stubenecken, hinter den Kleidern, die 
da aufgehängt waren, und gaben acht." 
Oder in "Der goldene Vogel": "Der Jüngling legte 
sich also unter den Baum, wachte und liess den 
Schlaf nicht Herr werden."




 Heino Gehrts hat mehrfach auf die besondere
Natur des Märchenschlafes hervorgehoben 
und den hypnoiden oder somnambulischen 
Charakter der dort geschlafenen Schläfe
nachgewiesen.
Erkenntnisse, die zurück in die  Zeit
des animalischen Magnetismus  und
weiter zurück in den  Erlebnisbereich
schamanistischer Seelenreisen reichen.

So also bleibt das Schneiderlein wach und
vereitelt die Pläne von König und Prinzessin,
ihn zu binden und mit einem Schiff in
 ein fernes Land zu verfrachten.

"Er war hüben wie drüben ein lebendiger Mensch"
wie es in Gustav Meyrinks Roman 
"Das Grüne Gesicht" heisst.


G.Hinke

"Dem Ding will ich einen Riegel vorschieben" 
sagte das Schneiderlein. Abends legte es sich
 zu gewöhnlicher Zeit mit seiner Frau zu Bett.
 Als sie glaubte, er sei eingeschlafen, stand 
sie auf, öffnete die Tür und legte sich wieder.
 Das Schneiderlein, das sich nur stellte, 
als wenn es schliefe, fing an mit heller 
Stimme zu rufen: "Junge, mach mir den 
Wams und flick mir die Hosen, oder ich 
will dir die Elle über die Ohren schlagen! 
Ich habe siebene mit einem Streich getroffen, 
zwei Riesen getötet, ein Einhorn fortgeführt 
und ein Wildschwein gefangen und sollte
 mich vor denen fürchten, die 
draussen vor der Kammer stehen!"