Donnerstag, 5. August 2010

Märchenkasten Durchgänge Teil 2


Die Durchquerung eines tunnelartigen Gebildes, z. B. in Form eines Erdloches, Ganges oder einer Höhle, kann eine bildliche Umsetzung der Ablösung und des Ebenenwechsels sein. Ideoplastische Vorstellungen wirken sich besonders stark bei der Überschreitung von Zustandsgrenzen aus. Im Moment des Hinüberwechselns (z. B. vom innerkörperlichen in den außerkörperlichen Zustand) geschieht etwas Objektives. Dieses Ereignis wird vom erlebenden Subjekt bildlich ausgeformt. Dabei kommen gesellschaftliche und individuelle Ideen zum Ausdruck, die mit jenem Erfahrungsfeld verbunden sind, in dem der Wechsel in irgendeiner Form eine Rolle spielt.



Eine Vermischung der Erfahrungsebenen geschieht manchmal beim Hinüberwechseln vom außer- in den innerkörperlichen Zustand. Plötzlich sitzen Zwerge und Feen neben dem Bett, die aufmerksam zuschauen, wie Notizen geschrieben werden. Beunruhigend wirkt oft die raum-zeitliche Ueberlappung zweier Welten, wobei z. B. in die materielle Welt Geschehnisse einer anderen hineinspielen, die eindeutig nicht-materiell sind. So etwas wird als "Spukerscheinungen" bezeichnet.
Zusätzliche Probleme entstehen aufgrund einer starken Überlagerungstendenz einander sehr nahestehender Wirklichkeitsebenen. Diese scheinen sich gegenseitig anzupassen und ineinanderzufließen. Whiteman nennt diesen Effekt mergence (merging, Verschmelzung)





In vielen Märchen ist der Übergang von der Alltags- zur Märchenebene (der Anderwelt) als Einschlafen und Wiedererwachen beschrieben, etwa in "Der Trommler". Oft wird das Gelingen einer zu erfüllenden Aufgabe oder das Erlangen einer Erkenntnis vom Wachbleiben abhängig gemacht, und gefordert, daß die Ich-Bewußtseinskontinuität erhalten bleibt. Z. B. in "Die Wichtelmänner": Die Frau des Schusters "steckte ein Licht an: darauf verbargen sie sich in den Stubenecken, hinter den Kleidern, die da aufgehängt waren, und gaben acht." Oder in "Der goldene Vogel": "Der Jüngling legte sich also unter den Baum, wachte und ließ den Schlaf nicht Herr werden."

Alle Zitate aus:

oobe.ch/Glossar